Anlässlich des Berliner Koalitionsvertrages haben wir die unten folgende Presseerklärung veröffentlicht.
Als Kampagne stehen wir dem Koalitionsvertrag kritisch und mit gemischten Gefühlen gegenüber. Einerseits sind 3 unserer 4 Kampagnenforderungen im Koalitionsvertrag verankert, was ein großer Erfolg für die Kampagne ist, andererseits sind zwei dieser Forderungen – die Ausbildungsoffensive und die multiprofessionellen Teams – zu vage. Insgesamt sehen wir nicht, dass mit diesem Koalitionsvertrag wirklich grundlegende Veränderungen an Berliner Schulen ankommen.
Insbesondere dass der Koalitionsvertrag beim Thema Personalaufwuchs und Ausbildungsoffensive so unkonkret bleibt, zeigt uns: Anscheinend ist der Leidensdruck an den Berliner Schulen noch nicht bei den Entscheidungsträger*innen angekommen. Das heißt auch, dass wir weiter machen müssen. Und genau das werden wir 2022 tun.
Presseerklärung zum Berliner Koalitionsvertrag
Koalitionsvertrag schreibt das Mangelsystem Berliner Schule fort
Bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags am Montag betonten SPD, Grüne und Die LINKE, dass sie Berlin zur „Zukunftshauptstadt“ machen wollen. Bildung scheint in dieser Zukunft allerdings keine besonders große Rolle zu spielen, wie ein Blick in den Koalitionsvertrag zeigt.
Berlin ist derzeit von einer guten, gerechten und inklusiven Schule für alle Schüler*innen weit entfernt. Die zentrale Grundlage für ein gerechtes Schulsystem sind gut ausgebildete Pädagog*innen in ausreichender Zahl. Diese fehlen bereits jetzt und in nächster Zukunft werden pensionierungs- und qualitätsbedingt noch größere Lücken zu schließen sein. SPD, Grüne und Die LINKE haben es versäumt, im Koalitionsvertrag ein klares Bekenntnis zu einer Ausbildungsoffensive für Lehrkräfte, Erzieher*innen und Sozialarbeiter*innen zu verankern. Stattdessen soll es eine „präzisere Bedarfsprognostik“ geben. Dabei ist belegt, dass in den nächsten 8 Jahren knapp 40% der Berliner Lehrkräfte aus dem Beruf ausscheiden und jährlich mind. 3.000 neue Lehrkräfte einzustellen sind.
Wir nehmen positiv wahr, dass die Studienplatzkapazitäten für Lehrkräfte erhöht und zusätzlich finanziert werden sollen und sehen das als klares Signal für die 2022 anstehenden Verhandlungen zu den neuen Hochschulverträgen. Allerdings bleibt diese Ankündigung unkonkret und hinter verschiedenen Prüfaufträgen versteckt. Den Koalitionären ist der immense Leidens- und Handlungsdruck in den Schulen offensichtlich nicht ausreichend bewusst. Ein Bekenntnis zu einer Ausbildungsoffensive für die weiteren so dringend benötigten Professionen – Erzieher*innen und Sozialarbeiter*innen – vermissen wir gänzlich.
Die Berliner Schule braucht einen echten Aufbruch – JETZT!
Um die aktuellen Lern- und Arbeitsbedingungen an den Berliner Schulen zu verbessern, wäre eine Mischung aus Entlastung und zusätzlicher Unterstützung notwendig. Doch entgegen der Entlastungs-Ankündigungen in den Wahlprogrammen, z.B. zu einer Vertretungsreserve an Berliner Schulen oder zumindest den Bonusprogrammschulen, findet sich nichts dergleichen im Koalitionsvertrag. Dass Lehrkräfte, die bisher die Brennpunktzulage erhielten, zukünftig auch entlastet werden sollen, ist lediglich ein schwaches Signal. Schließlich ist ausreichend Zeit die Grundlage für die essentielle Beziehungs- und Teamarbeit zwischen Pädagog*innen, Schüler*innen und Eltern.
Zusätzliche Unterstützung könnten Schulen schon jetzt durch weitere Berufsgruppen erhalten. Wir begrüßen, dass multiprofessionelle Teams „als Gelingensbedingung für die inklusive Schule“ gesehen werden. Allerdings will die neue Koalition als konkrete Maßnahme lediglich ein Konzept erstellen. Dieses Konzept auch mit Leben und Personal zu füllen – also beispielsweise den Schulen ein zusätzliches Budget für weitere Berufsgruppen zur Verfügung zu stellen – scheint den Koalitionären zu teuer gewesen zu sein. Damit bleiben Inklusion und Multiprofessionalität an Berliner Schulen leider weiter bloße Schlagworte anstatt Schulrealität zu werden.
Wir begrüßen ausdrücklich, dass eine unabhängige Beschwerdestelle für den Bildungsbereich beim Parlament eingerichtet werden soll und damit eine unserer Forderungen direkt aufgenommen worden ist. Hier wird es jetzt in den Haushaltsverhandlungen darum gehen, die Stelle mit ausreichend Personal und Befugnissen auszustatten. Außerdem muss klar sein, dass diese Stelle für die beiden großen Bereiche Antidiskriminierung und Inklusion kompetent aufgestellt sein muss. Bezogen auf die SIBUZe müssen wir hingegen feststellen, dass auch hier lediglich evaluiert und geprüft werden soll. Eine stärkere, auch personelle Unterstützung, z.B. durch weitere Schulpsycholog*innen – Fehlanzeige.
Eine klare Linie verfolgt der Koalitionsvertrag allerdings. Wenn es um zusätzliches Personal im Bildungsbereich geht, scheinen die Koalitionäre nicht gewillt, in Bildung und die „Zukunftshauptstadt Berlin“ zu investieren. Wie fragen uns, was den Koalitionären Bildung wert ist? Wir müssen leider sagen: Nicht genug!
Wer im Berliner Mangelsystem Bildung auf Ruhe und Kontinuität setzt, wie es die designierte Bürgermeisterin Franziska Giffey ankündigte, scheint keinen echten Aufbruch zu wollen.
Info: Die Kampagne „Schule muss anders“ bringt Pädagog*innen, Eltern, Schüler*innen und Lehramtsstudierende zusammen. Gemeinsam machen wir klar, dass bessere Lern- und Arbeitsbedingungen im Interesse aller dieser Gruppen sind und setzen uns für grundlegende Veränderungen des Berliner Bildungssystems ein. Im Vorfeld der Wahlen ist die Kampagne mit vier klaren Forderungen – einer Ausbildungsoffensive für Lehrkräfte, Erzieher*innen und Sozialarbeiter*innen, einer Entlastung zugunsten von Team- und Beziehungsarbeit, zusätzlichen Berufsgruppen an den Schulen und einer unabhängigen Beschwerdestelle für Antidiskirminierung und Inklusion – an die Politik herangetreten und mehrmals auf die Straße gegangen. Der Druck in den Schulen ist groß – „Schule muss anders“ wird ihn als wachsende Bewegung weiter auf die Straße und in die Politik tragen!
Die Kampagne „Schule muss anders“ wird getragen von vielen Einzelpersonen und Organisationen. Dazu zählen Schule in Not e.V, das Berliner Bündnis für schulische Inklusion, die Berliner Bürgerplattformen, die GEW Berlin, die Lehramtsinitiative Kreidestaub, der lsfb (Landesverband der Kita- und Schulfördervereine) und der Landesschüler*innenausschuss Berlin.