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Berlins Schulen sind überlastet. Jetzt gerade geht es oft um Luftfilter, Impfungen und Breitbandanschlüsse. Aber eigentlich geht es um die gleiche Frage wie immer:
Was brauchen Schüler*innen, um gut zu lernen und ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen zu können? Was brauchen Schulen, um alle Schüler*innen genau dabei zu unterstützen?
Und da werden Schüler*innen, Eltern und Pädagog*innen in den letzten Jahren viel zu oft allein gelassen. Es fehlen tausende Lehrkräfte, Erzieher*innen und Sozialarbeiter*innen an Berliner Schulen. Immer mehr Jugendliche verlassen die Schule ohne Abschluss und Selbstvertrauen. Eltern sollen zuhause das auffangen, was die Schule nicht schafft. Und umgekehrt.
Die Corona-Pandemie hat wie unter einem Brennglas diese Probleme für immer mehr Menschen sichtbar gemacht:
Die Berliner Bildungspolitik stopft Löcher, anstatt grundlegend etwas zu verändern. Aber Schule muss anders und das ist möglich. Mit mehr Zeit für alle Kinder, mehr Personal, neuen Berufsgruppen und weniger Ausgrenzung.
Eins ist klar: So einschränkend die Corona-Krise für uns alle ist, zeigt sie auch: Veränderungen sind schneller möglich als wir oft denken! Wenn der politische Wille da ist!
Und in diesem Jahr haben wir ein gutes Möglichkeitsfenster: Am 26. September finden die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus statt. Bildung ist Ländersache. Es wird stark um Bildungsforderungen gehen, im Wahlkampf und dann auch im Koalitionsvertrag ab Oktober. Die Frage ist, um welche Bildungsforderungen.
Wir haben JETZT die Möglichkeit, uns zu entscheiden: Entweder wir schauen wie vor der Corona-Pandemie zu, wie die Berliner Bildungspolitik immer weiter Löcher stopft. Und wir begnügen uns damit, wie es ein paar Zusatzkurse geben wird, neue Computer gekauft werden und es ansonsten heißt: Kein Personal da, kein Geld, Pech gehabt: Volle Klassen ja, gerechte Bildung nein.
ODER wir schließen uns als Eltern, Schüler*innen und Pädagog*innen zusammen und machen der Berliner Bildungspolitik gemeinsam klar: Unterstützt Schulen, Schüler*innen und Eltern endlich so, dass es um ihre Bedürfnisse geht. Dass Bildungschancen gerecht verteilt werden und wir gemeinsam an einer Schule der Zukunft für alle arbeiten.
Schule ist Persönlichkeitsbildung, keine Lernfabrik. Statt immer mehr Druck müssen Beziehungsarbeit mit den Schüler*innen und Teamarbeit für die Pädagog*innen im Vordergrund stehen. Dafür müssen sie an anderer Stelle, z.B. bei der Unterrichtsverpflichtung entlastet werden
In der nächsten Zeit folgt hier ein ausführliches Hintergrundpapier zu dieser Forderung.
Schulen müssen und wollen Kinder und Jugendliche heute auf vielfältige Weise begleiten. Noch immer allerdings besteht die Schule in den Köpfen von uns meisten Menschen aus dem Erlangen von Wissen in traditionellen Fächern wie Mathe, Physik, Biologie oder Sprachen. Dies zeigt auch der laute Ruf nach dem Aufholen der sogenannten Lernrückstände, die die Corona-Pandemie hat entstehen lassen. Als sei alles wieder in bester Ordnung, wenn nun beispielsweise durch Extraangebote oder das Wiederholen einer Klassenstufe das verpasste Wissen aufgeholt würde. Dabei sind im Gegensatz dazu die meisten Menschen davon überzeugt, dass die Schule mit all dem Abspeichern von Fachwissen nicht ausreichend auf das Leben nach der Schule vorbereitet. Unser Ansatz ist, dass Bildung breiter verstanden wird. Vielleicht ist das Zitat von Werner Heisenberg „Bildung ist das, was übrig bleibt, wenn man alles vergessen hat, was man gelernt hat“ ein guter Orientierungspunkt.
Es ist Zeit, das Konstrukt von Schule neu zu denken. Kompetenzen, die für ein glückliches und erfülltes Leben der Kinder und für das spätere erfolgreiche Ankommen in der Arbeitswelt nützlich oder gar nötig sind, können nicht nur formal gelehrt bzw. vermittelt werden. Es ist bekannt, dass 75% des Lernens informell, also intrinsisch aus Erfahrungen und Handlungen heraus stattfindet.
Durch die Integration von Expertise aus anderen Berufen in der Schule kann Schule endlich ein Ort der Freude am Lernen, der Kompetenzentwicklung werden. Heterogen, als Abbild unserer Gesellschaft. Die Bereiche, in denen Schule ergänzt werden muss, sind vielfältig. Beispiele hierfür sind unternehmerische Expertise für Schulaufsichten und Schulleitungen, um der Gestaltung gegenüber der Verwaltung mehr Raum zu geben. An Schulen werden Künstler*innen, Handwerker*innen, Musiker*innen, IT-Fachkräfte u.v.m. mit direktem Praxisbezug aus der Welt außerhalb der Schule benötigt. Auch Expertise aus der Wirtschaft, aus der Wissenschaft und vielen weiteren Bereichen ist eine sinnvolle Ergänzung der Schule. Die wichtigste Rolle spielen hierbei die Bedürfnisse und Bedarfe der Kinder, die noch immer zu häufig aus der Perspektive der Erwachsenen bewertet werden.
Neben den genannten „neuen“ Berufen, die ein fester Bestandteil von Schule werden müssen, gehören unbedingt auch die Berufe fest in die Schulen, die derzeit nur ergänzend, auf Antrag oder ausgelagert für Schüler*innen angeboten werden: Ergotherapie, Logopädie, Psychotherapie, Schulassistenz, Dolmetscher*innen, Pflegekräfte u.v.m. Diese Berufe dürfen keinesfalls mit einer Defizitorientierung für manche Kinder, die problematischer Weise eine Diagnose etwaiger Art erhalten haben, zur Behebung eingesetzt werden. Sie zeigen viel mehr auf, dass Schule inklusiv ist, jedes Kind so aufnimmt wie es ist und allen Bedarfen gerecht wird.
Es muss jetzt gehandelt werden. Nicht zuletzt die viel zu hohen Schulabbruchquoten zeigen, dass Veränderungen dringend sind. Daher: Die feste Verankerung von unterschiedlichen Berufen in der Schule ist unsere Forderung. Dabei muss Schulen Freiraum gelassen werden, um den eigenen Bedarfen gerecht zu werden. Schule darf nicht mehr nur als ein Ort verstanden werden, an dem Lehrer*innen unterrichten. Wir brauchen verschiedenste Professionen nennenswerter Zahl, die sich vom ersten Tag an sowohl mit den Familien als auch mit den Kindern beschäftigen. Nur so gelingt eine Schule, die individuellen Bedürfnissen gerecht wird und niemanden vergisst.
Berlin verwaltet Mangel. Seit Jahren fehlen Lehrkräfte, Erzieher:innen und Sozialarbeiter*innen an den Schulen. Die Senatsbildungsverwaltung stopft Löcher anstatt grundlegend umzusteuern. Ausreichend und gut ausgebildete Lehrkräfte, Erzieher*innen und Sozialarbeiter*innen sind die zentrale Grundlage für ein gutes, gerechtes und inklusives Schulsystem.
Das Schlimme ist, dass sich der Personalmangel an Berliner Schulen in den nächsten Jahren noch verschärfen wird. So verlassen laut Senatsprognosen bis 2027/28 allein 40 % der Berliner Lehrkräfte den Schuldienst. Gleichzeitig haben wir eine wachsende Stadt und immer mehr Schüler*innen besuchen die Berliner Schulen. Wenn wir jetzt nicht umsteuern, fahren Teile des Berliner Bildungssystems weiter gegen die Wand und viele Kinder erhalten nicht die Begleitung, die sie eigentlich bräuchten. Schule muss anders – und das ist nur möglich, wenn wir dafür auch die personellen Voraussetzungen schaffen. Ansonsten wird der Großteil der progressiven Bildungsreformen in den nächsten 10 Jahren immer wieder mit dem gleichen Argument beiseite gewischt: Wir würden ja gerne, aber uns fehlt das Personal. Wir wollen uns mit diesem Totschlagargument nicht abfinden. Mit unserer Kampagne legen wir den Grundstein für ein besseres Berliner Bildungssystem.
Laut den Prognosen der Senatsbildungsverwaltung müsste Berlin bis 2027/28 15.700 neue Lehrkräfte einstellen (gerechnet in Vollzeitstellen). Schon das wird Berlin mit der jetzigen geringen Zahl an Lehramtsabsolvent*innen nicht schaffen. Und dabei beruhen die Senatsberechnungen alle auf einer Fortschreibung des jetzigen personellen Mangelsystems. Qualitative Verbesserungen, für die es auch mehr Personal bedarf – wie eine zusätzliche Unterstützung für Schulen in herausfordernder Lage, feste Teamstunden für alle Lehrkräfte, eine einstündige Entlastung für Klassenleitungen, eine Verringerung der Klassengröße zumindest bei Schulen im Bonusprogramm, einen Stundenpool von 10h pro Woche für die Schulentwicklung für alle Schulen und eine 10%ige Vertretungsreserve – sind in den Berechnungen noch gar nicht enthalten. Wir haben beim Senat über den Landesschulbeirat nachfragen lassen, wie viele Lehrkräfte man bräuchte, wenn man die gerade genannten, notwendigen qualitativen Verbesserungen umsetzen wollte. 25.000 (!) neue Lehrkräfte muss Berlin bis 2027/28 einstellen. Das sind ca. 3.000 pro Jahr. Derzeit verlassen jährlich ca. 900 Lehramtsstudierende die Berliner Unis. Dieses eklatante Missverhältnis zeigt, wie groß der Handlungsbedarf ist.
Die Berliner Politik muss im neuen Koalitionsvertrag festschreiben, jährlich 3.000 Lehramtsstudierende von ihren Hochschulen zu entlassen, und diese Zahl 2022 bei der Verhandlung der neuen Hochschulverträge verankern. Und natürlich muss dort auch geregelt werden, dass die Universitäten ausreichend unterstützt werden, um diese Aufgabe umsetzen zu können.
Der Grund, dass wir bisher lediglich für Lehrkräfte und nicht auch für Erzieher*innen und Sozialarbeiter*innen konkrete Zielzahlen für die Ausbildung benennen, hat einen einfachen Grund: Dazu existieren bisher keine genauen Zahlen oder sie wurden uns bisher noch nicht mitgeteilt. Wir wissen aus unseren Anfragen zwar, dass Berlin bis 2027/28 allein für den Schulbereich über 8.000 zusätzliche Erzieher*innen einstellen müsste (wenn man den Kitabereich mitdenkt, liegt diese Zahl noch deutlich höher). Auf die Frage: „Wie sehen die Abschlussprognosen für Erzieher*innen für die nächsten Jahre bis 2030 aus?“ hieß es lediglich „Die Daten liegen nicht in dieser Form vor.“ Wie will denn die Senatsbildungsverwaltung sicherstellen, dass in den nächsten Jahren genügend Erzieher*innen ausgebildet werden, wenn sie nicht sagen kann, wie viele überhaupt zukünftig ausgebildet werden. Wir fordern, dass auch bei Erzieher*innen und Sozialarbeiter*innen Zielzahlen erhoben werden, die eine verbesserte personelle Ausstattung zu Grunde legen und es dann einen klaren Plan gibt, die Ausbildungskapazitäten dementsprechend zu erhöhen.
Diese Forderung bezieht sich auf zwei Punkte. Viele Schüler*innen und Eltern erleben regelmäßig Diskriminierung an Schule aufgrund ihrer sozialen Herkunft und/oder aufgrund von Rassismus. Andere Schüler*innen werden aufgrund einer Behinderung gleich bei der Schulwahl diskriminiert. Ihnen gemeinsam ist, dass sie so von schulischer Teilhabe ausgeschlossen werden.
Damit das Recht auf inklusive Bildung und echte Teilhabe für alle durchgesetzt werden kann, braucht es eine Verbesserung der derzeitigen Beratungsstellen (SIBUZe) sowie die Schaffung einer unabhängigen und zur Lenkung berechtigten Beschwerdestelle. Beide Instanzen müssen mit ausreichend Personal und Befugnissen ausgestattet sein, um ihren Auftrag erfüllen zu können.
Wir sehen die SIBUZe dabei ganz klar als Verbündete, die derzeit ebenfalls von Personalmangel betroffen sind und durch einschränkende Vorgaben der Senatsbildungsverwaltung in ihrem Beratungs- und Unterstützungsauftrag behindert werden.
Die Webseiten der SIBUZe suggerieren, dass die Beratungszentren in der Lage seien, Hilfe, Beratung und Begleitung für jede Zielgruppe im Kontext Schule anbieten zu können. Unter den aktuellen Bedingungen – Personalmangel, Raumknappheit, finanzieller und sozialer Druck – ist dies allerdings ein Ding der Unmöglichkeit, wie Eltern, Lehrer*innen und Schüler*innen regelmäßig in Beratungssituationen oft erfahren.
Weiterhin sind die SIBUZe „Entscheidungsträgerin“ im Rahmen des Prozesses der Vergabe von Förderstunden und personeller Unterstützung ‚für einzelne Kinder‘ – ein Prozess, in dem sie unabhängig sein sollten, es aufgrund der Weisungsgebundenheit an die Senatsbildungsverwaltung allerdings nicht sind.
Daher fordern wir:
Die SIBUZe
Zur Durchsetzung des Rechtes auf inklusive Bildung und echte Teilhabe braucht es außerdem die Schaffung einer wirklich unabhängigen Beschwerdestelle. Diese muss mit ausreichend Personal und Befugnissen ausgestattet sein, um ihren Auftrag erfüllen zu können.
In der nächsten Zeit wird dieses Hintergrundpapier zum Schwerpunkt Antidiskriminierung ergänzt.